
„Von guten Mächten wunderbar geborgen“ - ein Lied des Trostes und der Zuversicht… gegen seinen Missbrauch!
So will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ - So dichtete es Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1944 für seine Familie und seine Verlobte; zu dieser Zeit saß er im Gefängnis. Er war evangelischer Pfarrer im Widerstand gegen die Nazis. Schon andere Familienmitglieder waren ermordet worden und er selbst sah auch seiner Hinrichtung entgegen- der Krieg war fast zu Ende, da musste er sterben. Er schrieb seinen Lieben zuhause dieses Lied: es sollte ihren Glauben stärken, sie trösten und auch darauf hinweisen, dass auch für sie gilt „Das Ende ist der Anfang eines neuen Lebens“. An Silvester, bei Beerdigungen und auch sonst wird das Lied gerne gesungen. Und selbstverständlich sollen christliche Lieder Eingang finden in den Alltag der Menschen und es ist schön, wenn sie im Leben verbreitet und gesungen werden. Sie sind nicht im Privatbesitz der Kirche.
Aber Kirche muss sich äußern, wenn christliche Gedanken missbraucht werden. Auf so mancher Anticorona-Demonstration wird dieses Lied gesungen. Immer wieder deuten Plakate, die mitgetragen werden, darauf hin, dass die Demonstranten sich als Opfer eines Unrechtsregimes empfinden. Ungute Assoziationen machen sich breit: Es gab an manchen Orten in unserem Land auch Demonstranten gegen die Coronamaßnahmen, die einen sogenannten „Judenstern“ trugen. Als ob Menschen, die hier leben, gleichzustellen sind mit den unzähligen bedrohten und ermordeten Juden bei uns! Als ob unsere Regierung eine Unrechtsregierung, eine Diktatur sei! Diese Vergleiche sind unerträglich.
Ich bin froh über alle Menschen, die sich bei ihren Demonstrationen an die Hygieneregeln halten und die Demonstrationen angemeldet haben. Ich bin froh über die Demonstranten, die durch ihr Verhalten der Polizei gegenüber zeigen: ich respektiere diese Ordnungshüter und mache von meinem freiheitlichen Demonstrationsrecht in den geregelten Bahnen Gebrauch! Und die ihre Achtung zeigen vor den vielen Polizeikräften, die eine schwere Arbeit für unsere Sicherheit tun. Ich bin froh über diejenigen, die sich nicht von Verschwörungstheorien benebeln lassen.
Ich bin froh über alle Menschen, die über die Regierung meckern und sich aufregen, die die Augen verdrehen, wenn es wieder ein Durcheinander gibt mit den Maßnahmen- die aber prinzipiell sagen: ‚Alles verstehe ich nicht, find es auch nicht immer gut, aber ich halte mich an die Vorschriften und mache mit als Teil dieses Gemeinwesens, damit wir vorwärtskommen‘.
Ich bin froh über alle Menschen, die angesichts von unzähligen Coronaerkrankten Großartiges leisten. Die manchmal zornig und frustriert sind, weil sie nicht mehr können- und die sich Tag für Tag auf den Weg machen an ihre Arbeitsplätze, in die Kliniken und Altenheime und auch uns Gutes tun, indem sie unsere Angehörigen und Freunde gut versorgen und betreuen und uns damit eine Last abnehmen.
Ich bin froh über die Polizeikräfte, Hilfsdienste, Ordnungsämter usw., die dafür sorgen, dass das nötige läuft.
Ich bin froh über alle Menschen, die manche Einschränkung mit Humor auffangen und sich einfach draußen unterhalten und miteinander lachen- auch wenn es ganz schön kalt ist.
Ich bin froh über alle Menschen, die aus ihrem Glauben an Christus heraus leben und anderen Mut machen, auch zu vertrauen und zu glauben.
Ich bin froh über alle Menschen, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass es „nach Corona“ zu mehr Verständigung kommen kann.
Ich bin froh ….dass es so viele gibt, über die ich froh sein kann!
„Von guten Mächten wunderbar geborgen“- ich wünsche mir, dass dieses Lied den Menschen das spendet, was Bonhoeffer wollte: Trost und Zuversicht und den Glauben an eine Welt, die sich bei Gott vollenden wird. Ich wünsche mir, dass wir dankbar sind für dieses Land, in dem wir leben: in Freiheit und Demokratie. Wenn wir das Lied auf diesem Hintergrund singen und weitergeben, dann ist es der richtige Weg.
Gabriele Heuß, Pfarrerin in Lenzkirch-Schluchsee
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